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SIBIRIEN IM WINTER
   
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THEMA
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IM W50-LKW NACH OIMJAKON

Mitten in der kältesten Jahreszeit, am 21.01.2004, machen sich die Abenteurer Ronald Prokein und Andy Winter auf dem Scandlines Fährschiff "Urd" auf in den weit entfernten Osten, nach Sibirien.

Die "Urd" bringt die kühnen Weltenbummler von Rostock nach Liepaja in Lettland. Die Überfahrt dauert 24 Stunden. Von dort fahren Prokein und Winter mit ihrem LKW W50, einem alten DDR-Armeefahrzeug, weiter auf dem Landweg über Moskau, den Ural, Irkutsk, Mirny nach Jakutsk, wo dann die 2000 Kilometer lange Kolymatrasse, die über Oimjakon, dem kältesten Wohnort der Erde (-71,2 °Celsius) bis nach Magadan, der Küstenstadt am Ochotskischen Meer führt.

Diese Trasse ist auch als "Straße des Todes" bekannt. Es heißt, niemand befährt sie freiwillig - Ronald Prokein und Andy Winter schon. Mit von der Partie sind auch Prokeins Hunde Gina, die erfahrene Schäferhündin und der Neuling Hector, ein Mix aus Schäferhund, Rottweiler und etwas Wolf. "Wir haben 300 Stück Kohle von Ronalds Großeltern zum Heizen für unseren kleinen Ofen und vier Schlafsäcke dabei - das muß reichen", so Andy Winter.

Die germanische Schicksalsgöttin "Urd", nach der das Scandlines Fährschiff benannt ist, hat die beiden gut auf den Weg ins Baltikum gebracht. An der lettisch-russischen Grenze warten die Abenteurer 11 Stunden. Die Beamten können nicht begreifen, was die Deutschen mit dem fremdwirkenden Lastwagen, der zudem ohne Fracht ist, in Russland wollen.

Nach langer Diskussion lässt man Prokein und Winter endlich passieren. Der W50 rollt von nun an Tag und Nacht. Im Führerhaus ist es ungemütlich kalt, die Heizung wärmt nur spärlich.

Angekommen in Sibirien fällt der Thermostat aus, er scheint eingefroren. Wochenlang mühen sich die Rostocker durch die eisige verschneite Taiga. In der Führerkabine sind es nur ein paar Grade wärmer als draußen, oft nur unter minus 30 Grad Celsius. Besonders die Füße des Fahrers werden bald zu Eisklumpen. Er muß dann ins Freie ums sich zu erwärmen. Der LKW kommt auf den unebenen Trassen oft nur im Schritttempo voran. So dauerhaft gefroren haben Prokein und Winter noch nie!

Auch die Bremsen sind im Verlaufe der Tour fast erstarrt. Nur mit mehrmaligem Pumpen auf das Bremspedal gelingt es, das Gefährt allmählich zu drosseln. 

 
Sibirien 2004

 

Später bricht ein Gußstück aus dem kleinen Kachelofen, der in der Wohnbude hinten auf der Ladepritsche steht, heraus. Nun ist auch die zweite Wärmequelle der Abenteurer kaputt. Prokein und Winter versuchen nun bei Einheimischen zu übernachten.

Hinter Jakutsk ist plötzlich der Tank leer. Die Spritanzeige zeigte am Vortag irrtümlich noch ein Drittel des Winterdiesel (bis -60 °Celsius) an. Da der Wagen die ganze Nacht in der Kälte stand, und die Männer in einer Gaststube schliefen, ist nun das Öl gefroren.

Andy Winter nörgelt: "Lass die Kiste hier stehen!" Er möchte am liebsten ab jetzt nach Oimjakon trampen.

Wortlos stapft Prokein durch den kniehohen Schnee, fällt mit einem Beil eine paar junge Birken und entzündet ein Feuer, direkt unter der Ölwanne des Lasters. Solange man etwas tun kann, sollte man es machen, so Prokeins stetige Reisephilosophie. Nach drei, vier Stunden ist das Öl wieder flüssig. Die Fahrt geht weiter.

Am Abend funktioniert das Ablendlicht nicht. Die Lampen schimmern rötlich, noch schwächer als Standlicht. Auch die Innenbeleuchtung des Fahrerhauses scheint zu streiken. Die Rostocker stehen auf dem Eis des Aldans, der längste Nebenfluss der Lena. Er mißt 1800 Kilometer. Man kann die großen Flüsse Sibiriens etwa von Mitte Dezember bis Mitte April mit schwerem Gefährt befahren. Die Temperatur des Motors steigt wieder in kurzen Abständen, das Problem der letzten Wochen. Es ist kein Kühlwasser mehr vorhanden. Bedrohlich qualmt es aus dem Motorraum. Kurz darauf entleeren die Abenteurer ihre Blasen, fangen den Inhalt in einem Behälter auf und kippen ihn in das Kühlwassersystem. Es ist besser als nichts.

 
Sibirien 2004

 

Vier Tage danach zieht der W50 aus unerklärlichen Grund ständig nach rechts. Andy der hinterm Lenkrad sitzt muss immer wieder gegenlenken. Die Piste hat zu beiden Seiten Gefälle. Die beiden Männer befinden sich mitten in der Bergwelt des Sutar-Chajatagebirges. Kurz darauf halten Sie an. Der rechte Vorderreifen ist platt. Der LKW steht bedrohlich geneigt an einem Abhang. Andy versucht mit eingeschlagenen Rädern den Wagen auf die entgegengesetzte Fahrbahn zu lenken. Dort stände der W50 neben einer Felswand in Sicherheit. Aber stattdessen die Trassenseite zu wechseln, schlittert das Gefährt weiter zum Abhang. Prokein schnellt erschreckt vom Beifahrersitz hoch. Der LKW kommt dann irgendwie zum Stehen.

Der Reifen hat sich vollständig von der Felge gelöst, dadurch neigt sich das Fahrzeug noch schräger.

Eine halbe Stunde später zieht ein Urallaster den W50 zur Felswand. Mit Hilfe des Fahrers wird das Ersatzrad montiert.

Einen Tag später, am 28.März, kurz nach 18:Uhr, auf der linken Seite endlich ein Schild: OIMJAKON.

Ein Anblick der für die Rostocker nach den endlosen kalten Wochen kaum zu begreifen ist. Prokein möchte Winters Hand schütteln, doch der guckt ihn nur erstaunt an und meint:" Noch sind wir nicht da..." Erleichterndes Lachen füllt das frostige Fahrerhaus. Erst als das Eingangsschild passiert ist, klopfen sich die Rostocker auf die Schultern. Zwar sind sie "nur" mit einem motorbetriebenen Fahrzeug nach

Oimjakon gelangt, doch unter welchen Umständen...
Vielleicht klingt es seltsam, aber Prokein und Winter haben in den vergangenen Wochen manchmal die Abenteurer beneidet , die zu Fuß zum Nord- oder Südpol marschierten - sie konnten sich wenigstens bewegen...

 
Sibirien 2004

 

In der folgenden Woche verkaufen die Rostocker auf dem Rückweg den W50 in einem Dorf, namens Jutschjugei. Das Gefährt sprang wieder mehrmals nicht an. Zudem enden die russischen Visa der Männer in drei Wochen, das heißt, endloser Ärger mit den Behörden. Die Zeit drückt. Prokein erkundigt sich nach den Temperaturen des Ortes und der hiesigen Tierwelt, das gehört zu seinem Standard.

Die Abenteurer erfahren, das Jutschjugei noch kälter sein soll als Oimjakon. Der Käufer des W50, Polikari, so sein Name, spricht sogar von ca. drei, vier Grad Celsius. Es ist kaum zu glauben.

Von Jutschjugei über Jakutsk trampen Prokein und Winter nach Nerjungri, eine Ortschaft an der BAM, der Baikal-Amur-Magistrale. Sie liegt östlich des Baikalsees.

Von hier ab geht es auf Schienen weiter Richtung Moskau. Die Rostocker haben ein abschließbares Abteil für sich. Eine Fahrkarte bis zur russischen Hauptstadt kostet sie pro Person umgerechnet 120 Euro, für die Hunde jeweils 15 Euro.

Eine Frau in blauer Uniform ist für einen Waggon zuständig. Die Beamtin heizt einen Ofen mit Kohlen, kontrolliert die Tickets der Reisenden und ist allgemein für die Ordnung in ihrem zuständigen Bereich verantwortlich.

 
Sibirien 2004

 

Der Zug rattert gemächlich durch die tauende Taiga. Es ist im Verlaufe der sechs Tage ein Kommen und Gehen der Passagiere. Prokein und Winter treffen auf Minenarbeiter, Holzfäller und andere Leute. Es sind zumeist Menschen aus der mittleren und unteren Bevölkerungsschicht.

Hält der Zug an Bahnhöfen an, führt Prokein die Hunde auf unbelebten Gleisen Gassi. Die Aufenthalte haben meist eine Länge von 15 bis 30 Minuten.
 
Angekommen in Moskau tauchen die Rostocker nach Monaten wieder in die Anonymität von Menschenmassen unter. Es ist auch wieder einmal schön, privat zu sein. 

Mit einem anderen Zug und per Bus setzt sich die Reise bis Liepaja fort. Nach einem Vierteljahr erblicken Prokein und Winter offenes Gewässer. Sie tollen mit den Hunden an der lettischen Ostseeküste umher. Sie streichen über den weichen, angewärmten Sand des Strandes, fassen an die Rinde hochgewachsener Nadelbäume, riechen den Harz und den Duft wildwachsender Blumen. Es ist der affektivste Frühlingsanbruch ihres Lebens.

Am 17. April legt die Scandlines-Fähre in Rostock an. Prokein kniet nieder und küsst den heimatlichen Boden.

In der darauffolgenden Zeit verspüren die heimgekehrten Männer kaum Kälte. Bei Temperaturen um +10 °Celsius halten sie sich, oft nur im T-Shirt bekleidet, im Freien auf...

Fazit der Tour: Der W50 ist nicht unbedingt ein Fahrzeug für extremere Kälte. Allgemein entscheidend ist, das jeweilige Gefährt stets gegen die eisigen Temperaturen gut zu isolieren (alles nachzulesen im folgenden Buch).

Diese Reise ist in dem Buch "Die Entdeckung des Kältepols Jutschjugei" auszugsweise verarbeitet.

Mehr Fotos und Infos zu der Reise >>>


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